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Multiple Sklerose: Therapie, Symptome, Verlauf, Ursachen

Multiple Sklerose (MS) ist eine multifaktorielle, heterogene, komplexe, autoimmunvermittelte, demyelinisierende und neurodegenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS).

Multiple Sklerose ist die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des ZNS bei jungen Erwachsenen.  Gekennzeichnet ist die Multiple Sklerose durch entzündliche Demyelinisierung und damit einhergehender neuronaler bzw. axonaler Schädigung.  Da sich die Läsionen an verschiedenen Stellen im Gehirn und Rückenmark befinden können, manifestiert sich die Erkrankung in unterschiedlichen Symptomen. In den meisten Fällen führt MS zu einer fortschreitenden Behinderung der motorischen sowie kognitiven Funktionen und mindert die Lebensqualität der Betroffenen.

Eine frühzeitige Diagnose und effektive Behandlung der MS können den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen.  Die Multiple Sklerose-Therapie umfasst die akute Schubtherapie, verlaufsmodifizierende Therapie und symptomatische Therapie.  Ziele der Therapie sind u. a. Reduktion von Schüben, Verzögerung der Krankheitsprogression, Erhalt der kognitiven Leistungsfähigkeit sowie Bewahrung und nach Möglichkeit Verbesserung der Lebensqualität.

In Deutschland leiden nach Schätzungen 250.000 Menschen an Multipler Sklerose.  Die Krankheit tritt meist im Alter von 20 bis 40 Jahren auf.  Sie kann jedoch auch bereits in der Kindheit bzw. Jugend oder erst im späteren Erwachsenenalter beginnen.  Frauen erkranken an der verbreitetsten Verlaufsform, der schubförmig remittierenden Multiple Sklerose (RRMS), zwei- bis dreimal häufiger als Männer.

ICD-10-Codes

H46, G35

Multiple Sklerose: Therapie

Da bei Multipler Sklerose der Krankheitsverlauf und die Symptomatik sehr unterschiedlich sein können, muss die Therapie individuell abgestimmt werden. Neben der akuten Schubtherapie kommen verlaufsmodifizierende Therapien zum Einsatz, die an die jeweilige MS-Verlaufsform angepasst sind. Die dritte Säule bei der Behandlung der Multiplen Sklerose ist die symptomatische Therapie. Diese drei Therapieformen werden meistens kombiniert, wobei abhängig von Krankheitsstadium und Patient:in eine unterschiedliche Gewichtung möglich ist.

Für die Therapieentscheidung spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Krankheitsstadium, Alter, Krankheitsdauer, Krankheitsverlauf, individuelles Risikoprofil, Kinderwunsch etc.

Akute Schubtherapie

Ein MS-Schub ist definiert als das Auftreten neuer oder bereits vorher aufgetretener MS-Symptome, die mindestens 24 Stunden andauern und einen Abstand von mehr als 30 Tagen zum Beginn vorausgegangener Schübe aufweisen. Die akute Schubtherapie soll die Krankheitszeichen mildern und ihre Dauer verkürzen. Es handelt sich um eine kurzfristige Therapie mit entzündungshemmenden meist hochdosierten Glukokortikoiden.

Als Therapieeskalation einer auf Glukokortikoide nicht auseichend ansprechenden Schubsymptomatik kann eine Apherese-Therapie mittels Plasmapherese (PE) oder Immunadsorption (IA) durchgeführt werden.

Zweck der Apherese ist es, Immunglobuline aus dem Blut herauszufiltern, die die Entzündungen beim MS-Schub fördern. Bei der PE wird das gesamte Plasma mitsamt Immunglobulinen herausgefiltert und durch Fremdeiweiß ersetzt. Bei der IA werden nur die spezifischen Immunglobuline aus dem Blut entfernt.

Verlaufsmodifizierende Therapie: MS Immuntherapie

Die verlaufsmodifizierende Immuntherapie bei Multipler Sklerose ist eine langfristige Behandlung mit Medikamenten mit zum Teil gänzlich unterschiedlichen Wirkansätzen, die den Verlauf der Multiplen Sklerose modifizieren. Man spricht auch von krankheitsmodifizierender Therapie bzw. disease modifying therapy (DMT).

Ziel der MS Immuntherapie ist es, die klinische Krankheitsaktivität, die subklinische Krankheitsaktivität (MRT-Läsionen), Schübe und die Progression der Multiplen Sklerose zu verhindern bzw. zu verringern sowie die Lebensqualität der Patient:innen zu erhalten.

Die krankheitsmodifizierenden Therapien der ersten Generation fokussierten sich v. a. auf die Verhinderung bzw. Reduzierung von motorischen Defiziten. Modernere DMTs zielen i. d. R. auf eine umfangreiche Behandlung der verschiedenen MS-Symptome ab, einschließlich kognitiver Fähigkeiten und Fatigue. Darüber hinaus besitzen die modernen immunmodulierenden Therapien oft eine hohe Wirkstärke und ermöglichen langfristig eine effektive entzündungshemmende Therapie bei zugleich gutem Nebenwirkungsprofil.

Tabelle 1: Verlaufsmodifizierende Therapien bei Multipler Sklerose (DMTs)

Immuntherapie bei schubförmig remittierender MS (RRMS)
Therapiewahl je nach Krankheitsverlauf, Krankheitsaktivität und individuellem Risikoprofil
  • Beta-Interferone, z. B. Interferon beta-1b, Interferon beta-1a
  • Fumarate, z. B. Dimethylfumarat, Diroximelfumarat
  • gentechnisch hergestellte Antikörper, z. B. Alemtuzumab, Ocrelizumab, Rituximab*, Natalizumab
  • Immunmodulatoren, z. B. Glatirameracetat
  • Immunsuppressiva (in bestimmten Fällen), z. B. Azathioprin, Methotrexat, Mitoxantron
  • S1P-Rezeptor-Modulatoren, z. B. Fingolimod, Ozanimod, Ponesimod
  • synthetische Purinnukleosid-Analoga, z. B. Teriflunomid, Cladribin
Immuntherapie bei primär progredienter MS (PPMS)
  • gentechnisch hergestellte Antikörper, z. B. Ocrelizumab, Rituximab*
Immuntherapie bei sekundär progredienter MS (SPMS)
  • Beta-Interferone, z. B. Interferon beta-1b, Interferon beta-1a
  • gentechnisch hergestellte Antikörper, z. B. Ocrelizumab, Rituximab*
  • S1P-Rezeptor-Modulatoren, z. B. Siponimod
  • synthetische Purinnukleosid-Analoga, z. B. Cladribin
Immuntherapie bei klinisch isoliertem Syndrom (KIS)
  • Beta-Interferone, z. B. Interferon beta-1b, Interferon beta-1
  • Immunmodulatoren, z. B. Glatirameracetat

*Rituximab ist nicht zugelassen zur Therapie der MS, Einsatz im Off-Label-Use.
 

Informationen zur Multiple-Sklerose-Therapie von Bristol Myers Squibb finden Sie hier.

Symptomatische Therapie MS

Die symptomatische Therapie dient der Linderung der individuell unterschiedlichen Beschwerden. Da Betroffene nicht immer über alle Symptome berichten, sollten diese gezielt erfragt werden, beispielsweise mit einer Checkliste. Aufgrund der zahlreichen möglichen MS-Symptome ist die symptomatische Therapie vielfältig. Dabei ergänzen sich medikamentöse (z. B. bei Gangstörungen, neurogenen Darmfunktionsstörungen und Schmerzen) und nicht-medikamentöse Therapien.

Zu den nicht-medikamentösen Therapien zählen u. a. Physiotherapie, Ergotherapie, Psychotherapie, Gesprächstherapie, kognitives Training, Achtsamkeitstraining, Logopädie, Beckenbodentraining, Elektrostimulation, Trainings- und Bewegungstherapie, physikalische Therapie, neuropsychologische Therapie und psychosoziale Betreuung. Bei der Bewältigung des Alltags können zusätzlich Hilfsmittel, beispielsweise ein Gehstock, helfen.

In einigen Fällen kann eine multimodale Rehabilitation zur deutlichen Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Dabei werden über mehrere Wochen gleichzeitig verschiedene der genannten Behandlungen durchgeführt.

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Verlauf: Was für den frühen Start einer effektiven Multiple Sklerose-Therapie mit DMTs spricht

Vieles deutet darauf hin, dass ein früher Therapiebeginn mit DMTs und ein frühzeitiger Therapiewechsel bei anhaltender Krankheitsaktivität mit einem besseren klinischen Ergebnis verbunden sind bzw. einen positiven Einfluss auf den weiteren Krankheitsverlauf haben.  Ferner ist auch die Wirkstärke des eingesetzten Präparats entscheidend: Ein frühzeitiger Einsatz hochwirksamer Therapien kann die Behinderungsprogression sowie die Konversion von einer RRMS zu einer SPMS verzögern .

Ein MS-Registervergleich aus Schweden und Dänemark zeigt, dass sich eine frühe effektive DMT auszahlt. Von den schwedischen Patient:innen, die vorwiegend mit hochwirksamen Therapien behandelt wurden, entwickelten weniger Patient:innen eine Behinderungsprogression über 4 Jahre als die dänischen Patient:innen mit vorwiegend Eskalationsstrategie.

Mit modernen immunmodulierenden Therapieoptionen, die eine hohe Wirkstärke – auch in Bezug auf kognitive Defizite – mit einem geringen Nebenwirkungsprofil kombinieren und daher ein optimales Nutzen-Risiko-Profil aufweisen, hält die frühe effektive Therapie immer stärker Einzug in den Behandlungsalltag.

Multiple Sklerose: Symptome

Die MS-Symptome sind sehr heterogen und variieren sowohl individuell als auch abhängig vom Krankheitsstadium. Viele Symptome sind auf den ersten Blick nicht sichtbar. Die Lebensqualität ist oft stark beeinträchtigt.

Mögliche Symptome bei Multipler Sklerose sind:

Sehstörungen
Gefühlsstörungen der Haut (z. B. Kribbeln, Taubheitsgefühl)
Schmerzen (z. B. Kopfschmerzen)
Kognitive Störungen (z. B. Konzentration, Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit)
Lähmungen und Spastik

Dysarthrie/Dysarthrophonie und Dysphagie
Koordinations- und Bewegungsschwierigkeiten (z. B. Gangstörungen)
Ataxie und Tremor
Blasenstörungen
Neurogene Darmfunktionsstörungen

Sexuelle Funktionsstörungen
Fatigue
Emotional affektive Symptome (z. B. Depression, Angststörung)

Standards zur Beurteilung klinischer Funktionen bei MS-Patient:innen

Zur Beurteilung der klinischen Funktionen sind v. a. der „Expanded Disability Status Scale“ (EDSS), der Multiple Sclerosis Functional Composite (MSFC), die 6‑ bzw. 2‑Minuten-Gehtests und das Brief International Cognitive Assessment for MS (BICAMS) zur Beurteilung der kognitiven Beeinträchtigungen geläufig.

Das BICAMS umfasst dabei einen Test zur Beurteilung des visuell-räumlichen Kurzzeitgedächtnisses (Brief Visuospatial Memory Test-Revised, BVMT-R), einen zur Beurteilung der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung (Symbol Digit Modalities Test, SDMT) und einen dritten zur Messung des Verbalgedächtnisses (Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest, VLMT). Alle drei Test dauern rund 20 Minuten, die ebenfalls recht genaue Kurzversion ohne den VLMT etwa 10 Minuten.  Kognitive Einschränkungen treten bei bis zu zwei Drittel der MS-Patient:innen auf.  Die Erhebung des kognitiven Status kann sowohl die Prognose als auch die Behandlungsentscheidung erleichtern.

Multiple Sklerose: Verlauf und MS-Verlaufsformen

Je nach Schüben, Remission, Krankheitsaktivität und -progression wird Multiple Sklerose in vier Verlaufsformen unterteilt. Die häufigste Form ist die schubförmig remittierende Multiple Sklerose (RRMS). Daneben existieren noch die primär progrediente MS (PPMS), die sekundär progrediente MS (SPMS) und das klinisch isolierte Syndrom (KIS) (Abbildung 1).

Multiple Sklerose: Diagnose

Bei der Multiplen Sklerose handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose. Die Bandbreite an Symptomen erschwert die Diagnose, sodass oft viel Zeit vergeht, bis sie gestellt wird.  Die McDonald-Kriterien, durch die die Diagnose rein klinisch oder mithilfe paraklinischer Befunde erfolgt, erleichtern die Diagnose.  Folgende Untersuchungen kommen zum Einsatz:

  • Anamnese
  • Körperliche und neurologische Untersuchung
  • Magnetresonanztomographie (MRT)
  • Liquordiagnostik
  • Blut- und Urinuntersuchungen
  • Ggf. evozierte Potenziale

Multiple Sklerose: Ursachen und Pathogenese

Die Ursachen für MS sind nach wie vor nicht geklärt. Es wird davon ausgegangen, dass ein Zusammenspiel aus Umweltfaktoren, genetische Prädispositionen und weiteren Faktoren zugrunde liegt. Bestimmte Genorte werden mit dem Risiko an Multipler Sklerose zu erkranken in Zusammenhang gebracht, darunter Allele des humanen Leukozytenantigen-Systems (HLA-System). Infektionen (z. B. mit dem Epstein-Barr-Virus), Vitamin D-Mangel, Adipositas oder Rauchen stellen weitere Risikofaktoren dar.

Bei der Pathogenese der Multiplen Sklerose sind fehlerhafte autoimmun aktive T-Zellen maßgeblich beteiligt. Sie lösen Entzündungsreaktionen aus, die die Myelinscheiden und Axone angreifen. Die Weiterleitung von Nervenimpulsen ist dadurch nur noch eingeschränkt oder nicht mehr möglich (Abbildung 2).

Voraussetzung dafür ist, dass die autoimmun aktiven T-Zellen die Blut-Hirn-Schranke überwinden können und ins ZNS gelangen.  Dort setzen sie Zytokine frei, wodurch weitere Zellen, z. B. Makrophagen oder Mikrogliazellen, in das Gebiet einwandern.  Die daraus folgende Entzündungsreaktion greift die Oligodendrozyten an, die die Myelinscheide bilden. An der Reaktion sind auch B-Zellen und Antikörper beteiligt.  Nicht nur die weiße, auch die graue Substanz des Zentralnervensystems wird in Mitleidenschaft gezogen.